Sucht, Depressionen, Unfälle – „Risiken überwiegen“: Zwei Jugendpsychiater über die Gefahren der Cannabis-Legalisierung
Die Ampel-Parteien in Berlin wollen Cannabis zu Genusszwecken unter bestimmten Voraussetzungen legalisieren. Zwei Kinder- und Jugendpsychiater aus Fulda erklären, welche Gefahren die Freigabe birgt.
Fulda – Die Ampel-Koalition plant eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Dadurch würden „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auf der Habenseite stehen bei diesem in der Gesellschaft umstrittenen Thema außerdem die zu erwartenden Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Dass Cannabis abhängig machen und mit psychischen Störungen zusammenhängen kann, davon sind Privatdozent Dr. Frank M. Theisen und Dr. Mark-Oliver Keil vom Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda überzeugt. Ein Gespräch über mögliche Folgen der Legalisierung.
Cannabis-Legalisierung: Zwei Jugendpsychiater warnen vor Risiken
Bereitet Ihnen die geplante Legalisierung von Cannabis Sorgen?
Theisen: Die Fachgesellschaften der Kinder- und Jugendpsychiater und der Pädiater in Deutschland warnen vor den möglichen Risiken einer Cannabis-Legalisierung. In vielen Ländern, in denen Cannabis bereits legalisiert wurde, gelang kein hinreichender Jugendschutz, gerade vor dem Hintergrund einer gesunkenen Risikowahrnehmung. Denn trotz eines Verbots für Jugendliche werden Cannabis-Produkte an Jugendliche durchgereicht, wie Studien belegen. Gleiches sehen wir in Zusammenhang mit Alkohol.
Sehen Sie die Wirksamkeit von bereits jetzt verschreibungsfähigen Cannabis-Arzneimitteln als Argument für eine Legalisierung?
Keil: In Ausnahmefällen können Cannabis enthaltende Medikamente als Arzneimittel ärztlich verschrieben werden, zum Beispiel an Patienten mit schweren Tic-Störungen, Schmerzen oder Patienten mit Übelkeit im Rahmen einer Chemotherapie, wenn es keine ausreichenden Alternativen gibt. Cannabis-Produkte sind tatsächlich in einigen Bereichen wirksam.
Theisen: Der Konsum außerhalb einer Behandlung mit dem Ziel, einen persönlichen als angenehm oder berauschend empfundenen Effekt zu erzeugen, findet demgegenüber mit einer ganz anderen Motivation statt. Das ist problematisch, denn ein Konsum mit dem Wunsch oder gar dem Druck, sich in einer Anspannungssituation zu entspannen oder ganz einfach nur generell zu berauschen, steigert deutlich die Wahrscheinlichkeit von Missbrauch und Abhängigkeit. Positive Erfahrungen in der Behandlung von Patienten lassen nicht auf positive Verläufe im privaten Konsum rückschließen, im Gegenteil.
Depressionen, Frühgeburten, Unfälle: Cannabis-Konsum birgt Gefahren
Für wie schädlich halten Sie das Kiffen?
Keil: Zu problematischen Wirkungen von Cannabis existieren zahlreiche Studien. Zum Beispiel haben sich im US-Bundesstaat Colorado seit der Legalisierung die cannabisbedingten Vergiftungsfälle und entsprechenden Krankenhausaufenthalte mehr als verdoppelt. Der Anteil von Suiziden mit Beteiligung von Cannabis ist dort auf das Doppelte angestiegen. Auch die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss hat sich verdoppelt.
Theisen: Wissenschaftlich gut belegt ist ein Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Störungen. Bei hierfür anfälligen Personen kann es zu Depression, bipolaren Störungen, Angst und Suizidalität sowie weiterem Drogenkonsum auch mit anderen Substanzen kommen. Weiter zu nennen sind bei Cannabiskonsum in der Schwangerschaft Frühgeburten und kindliche Entwicklungsstörungen. Bei einer genetischen Anfälligkeit kann Cannabiskonsum eine Psychose auslösen und deren Verlauf verschlechtern.
Könnten qualitativ hochwertigere Produkte, wie die Befürworter einer Legalisierung hoffen, weniger Schaden anrichten?
Keil: Hier stellt sich die Frage, was mit „hochwertig“ gemeint ist. Bei einem Anstieg der Wirkstoff-Konzentration, den wir bereits seit Jahren sehen, ist von stärkeren Wirkungen und Nebenwirkungen auszugehen, was auch bei einem „hochwertigen“ Produkt der Fall sein kann.
Theisen: Während auf dem illegalen Schwarzmarkt „was auch immer“ an Drogen verkauft wird, könnte die Zusammensetzung eines legal verkauften Cannabisprodukts prinzipiell kontrolliert und beeinflusst werden. Die Effekte können unterschiedlich sein. Der Konsument könnte ein „hochwertiges“ Produkt als Risikominderung werten und vielleicht gerade deshalb bedenkenloser konsumieren – mit all den möglichen Folgen.
Letztlich ist es eine Entscheidung der politischen Verantwortungsträger, sämtliche Risiken gegen mögliche Vorteile abzuwägen. Dazu gerechnet werden wirtschaftliche Profite mit Steuereinnahmen in Milliardenhöhe und Einsparpotenzial bei Justiz und Polizei. Aus klinischer Sicht überwiegen deutlich die Risiken.
Dazu, ob Cannabis abhängig macht, gibt es verschiedene Studien und Meinungen. Wie sehen Sie das?
Theisen: Für die Existenz von Cannabis-Abhängigkeit gibt es viele Belege. Menschen reagieren aufgrund ihres Stoffwechsels sehr unterschiedlich auf psychoaktive Stoffe. Hier spielt die Genetik eine oft grundlegende Rolle. Manche vertragen sozusagen viel höheren Dosen, weil ihr Gehirn weniger auf die Substanz anspricht und die Leber die Stoffe besonders schnell abbaut. Andere sind empfänglicher für subjektiv positive psychische Effekte und anfälliger für unerwünschte Wirkungen. Wird den Konsumenten leicht schlecht, meiden sie häufig den Konsum.
Keil: Abhängige zeigen häufig neben einem hohen Konsum ein Bild niedriger Motivation, ihren Alltag zielstrebig zu gestalten. Ihnen sind Dinge zunehmend „egal“, die früher wichtig waren. Es kann zu sozialem Rückzug, reduziertem Schulbesuch, dem Verlust von Freundschaften und Hobbys kommen oder zu Streit zu Hause.
Wie unterschiedlich wirkt beispielsweise Kiffen auf Erwachsene und Jugendliche?
Theisen: Die Hirnreifung geht bis über das 25. Lebensjahr hinaus – und es gibt Befunde von ungünstigen Einflüssen durch Cannabis, zum Beispiel auf die Vernetzung der Nervenzellen für die mentale Leistungsfähigkeit. Es gibt Befunde über strukturelle und funktionelle Veränderungen im Gehirn mit Einbußen in Gedächtnis, Lernen und Erinnerungsleistungen sowie Denkleistungen und Intelligenz.
Keil: Das jugendliche, sich noch entwickelnde Gehirn reagiert anders, häufig sensibler auf Substanzen. Aus diesem Grund und der Altersspanne der Hirnreifung ist eine etwaige Altersgrenze von 18 Jahren für den freien Zugang zu Cannabis als kritisch einzuschätzen.
Wie können Sie als Psychiater helfen, wenn jemand zu häufig zum Joint greift?
Keil: Das Behandlungskonzept sollte an die Motivationslage des Kindes oder Jugendlichen angepasst werden. In vielen Fällen zeigen sich neben dem Cannabiskonsum weitere Probleme oder psychische Belastungen bis hin zu therapiebedürftigen Symptomen, die ebenso beachtet und behandelt werden müssen.
Zentrale Bausteine können Beratung mit Aufklärung, psychotherapeutische Verfahren, Einbezug der Familie, manchmal ebenfalls eine unterstützende medikamentöse Behandlung sein. Die Spannweite liegt von ambulant und niederschwellig bis zu einer vollstationären Krankenhausbehandlung. Und in unserer Grundhaltung sind wir weit von Moralisierungen entfernt.
Quelle: Fuldaer Zeitung
Redakteurin: Alina Komorek
Foto: Fuldaer Zeitung / dpa
Der vollständige Artikel: https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/cannabis-legalisierung-risiken-gefahren-fulda-jugendpsychiater-kinder-frank-theisen-91253808.html?fbclid=IwAR2MeFeAwHsWabkOJeUSF9geZLWaGGYpqNvLIK7B_Pn5TVxfd_-OgT6FLKA
(Stand: 20.01.2022)