Jedes fünfte Kind fühlt sich psychisch belastet, das ergibt eine neue Studie. Psychische Erkrankungen nehmen bei Kindern und Jugendlichen seit der Corona-Pandemie zu. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Herz-Jesu-Krankenhauses in Fulda zeigt sich diese Entwicklung.
Fulda – Essstörungen, Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen: Kinder und Jugendliche haben seit Ausbruch der Corona-Pandemie immer häufiger mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Die Krankheitsbilder sind dabei äußerst unterschiedlich. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zeigt: 22 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichten von psychischen Auffälligkeiten, 23 Prozent von Angstsymptomen.
Mehr psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Fulda
Die Entwicklung macht vor der Region nicht Halt: In der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJP) am Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda sind Ärzte, Psychotherapeuten und Mitarbeiter des Pflege- und Erziehungsdienstes täglich mit dem Anstieg psychischer Erkrankungen konfrontiert.
Dieser zeigt sich vor allem daran, dass die Nachfrage nach einer Behandlung deutlich zugenommen hat. In der KJP gibt es 51 vollstationäre sowie 16 tagesklinische Plätze. 16 weitere tagesklinische Plätze sowie eine Ambulanz befinden sich am Standort der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bad Hersfeld. „Außerdem arbeiten wir eng mit den niedergelassenen Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen“, erklärt Privatdozent Dr. Frank Theisen, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Corona als „Brandbeschleuniger“ für psychische Störungen
Behandelt werden Patienten von etwa 6 bis 18 Jahren, manche Kinder sind auch jünger. Er stellt fest: „Der Bedarf und der Leidensdruck, den wir über Eltern, Lehrer und die Jugendhilfe wahrnehmen, haben deutlich zugenommen. Natürlich hat jede Erkrankung bei jedem Kind individuelle Ursachen und Auslöser, aber die Corona-Pandemie hatte negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.“
Verstärkt habe sich vor allem der Schweregrad und der Grad der Chronifizierung einer jeweiligen psychischen Störung. Gründe hierfür könnten vielfältig und je nach Kind oder Jugendlichem äußerst individuell sein, so der Chefarzt. Corona habe in gewisser Weise als „Brandbeschleuniger“ bei vielen gedient, die jetzt mit Erkrankungen zu kämpfen haben.
Hohe Nachfrage führt zu langen Wartezeiten
Wegen der hohen Nachfrage – und begrenzter Behandlungsplätze – komme es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Herz-Jesu-Krankenhauses mitunter zu längeren Wartezeiten. Wenn entsprechende Anfragen gestellt werden, beraten die Mitarbeiter am Telefon oder im persönlichen Gespräch über weitere Behandlungsoptionen wie ambulant, Tagesklinik oder stationär. Alle Anfragen werden aufgenommen und jeweils nach Störungsbild und Schweregrad beurteilt.
„Je nach Dringlichkeit der stationären Behandlungsbedürftigkeit werden Kinder und Jugendliche unmittelbar oder zeitnah aufgenommen, oder müssen auf einen Behandlungsplatz warten – mit unterschiedlicher Dauer. Bei manchen muss erst eine Abklärung möglicher körperlicher Ursachen für die Beschwerden durch den Kinderarzt vorgenommen werden“, erklärt Chefarzt Theisen. Generell lasse es sich schwer einschätzen, wie lange Patienten im Schnitt auf einen freien Platz warten müssen. Man versuche, die Wartezeit so kurz wie möglich zu halten und empfehle auch alternative therapeutische Angebote sowie weitere Unterstützungen wie Erziehungsberatungsstellen. Je nach Art und Schwere der oft komplexen Störungsbilder können die Kinder und Jugendlichen in der Tagesklinik, auf einer offenen Station oder auch auf der geschützten Station behandelt werden.
„Die mangelnden Strukturen und Kontrolle sowie Isolation in Zeiten von Lockdown und Schulschließungen spielten eine große Rolle, aber auch der Einfluss Sozialer Medien hat deutlich zugenommen“, beobachtet auch Tobias Daub, Leitender Psychotherapeut in der KJP. „Hinzu kommt, dass wir eine große Unsicherheit in der Gesellschaft haben, die Klimakrise, Kriege und große Umbrüche in der Welt, all das belastet auch Kinder und Jugendliche“, berichtet Daub über Erkenntnisse aus Gesprächen mit Patienten im Klinikalltag.
Soziale Medien, Kriege, Klimakrise belasten Kinder und Jugendliche
Die Kinder- und Jugendlichen haben mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern, welche sich von Patient zu Patient unterschiedlich deutlich ausprägen, zu kämpfen. Dennoch gibt es auch in Fulda Tendenzen: So ist der bundesweite Trend, dass vor allem Anpassungsstörungen, Depressionen und Angststörungen häufige Erkrankungen sind, auch in der Fuldaer Einrichtung zu erkennen.
Besonders auffällig: „Wir erleben seit einigen Jahren, dass Essstörungen deutlich zugenommen haben“, sagt Cheftherapeut Daub. „In der Pandemie-Zeit fiel die externe Beobachtung beispielsweise durch Lehrer und Freunde weg.“ Bei zunehmender Beschäftigung mit Sozialen Medien nehme der Einfluss von Influencern als Vorbild zu. Dies könne im schlimmsten Fall zur Magersucht führen, wenn im Netz falsche Ideale vorgelebt werden.
„Den Herausforderungen, die mit der zunehmenden Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die an psychischen Erkrankungen leiden, einhergehen, sind wir uns bewusst“, sagen die Verantwortlichen einhellig. Trotz der Vielzahl an zu behandelnden Fällen sei es wichtig, auf jeden Patienten individuell einzugehen. „Wir betreuen die Patienten bei uns sehr intensiv und eng“, sagt Nancy Oschatz, Bereichsleitung des Pflege- und Erziehungsdienstes.
In der Regel sind die Kinder und Jugendlichen freiwillig in der Einrichtung und wollen die Störung behandeln lassen. „Teilweise werden Notfälle mit Rettungswagen und der Polizei gebracht und es sind gerichtliche Unterbringungen notwendig, die beispielsweise von Eltern beantragt werden“, sagt Theisen und ergänzt: „Die Jugendlichen können die emotionalen Motive ihrer Eltern – Sorge und Schutz bei Suizidalität – aber mit der Zeit meist anerkennen.“ Außerdem arbeitet die KJP eng mit Jugendämtern und Jugendhilfeeinrichtungen zusammen.
Mädchen im pubertären Alter anfälliger für Depressionen und Essstörungen
Wie häufig ein Krankheitsbild vorkommt, hängt unter anderem auch vom Alter und Geschlecht ab, erklären die Experten. Während bei Jungen eher Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS auftreten, leiden Mädchen häufiger an Essstörungen und Depressionen. Auch der Alterseinfluss zeigt sich in der KJP in Fulda: Bei den jüngeren Patienten unter 13 Jahren sind mehr Jungen in psychotherapeutischer Behandlung. Ab dem Jugendalter zeigt sich dann ein deutlicher Anstieg der Behandlungszahlen bei Mädchen. „Das zeigt sich sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor“, so Theisen.
Aufmerksamkeitsstörungen würden bei Jungen häufig nach dem Schuleintritt sichtbar. „Mit Beginn der Pubertät stellt sich dann der Körper um, auch das Gehirn verändert sich. Zudem kommen Fragen und Unsicherheiten auf zu den Themen der eigenen Identität, körperlichen Entwicklung, sozialen und schulischen Herausforderungen sowie Partnerschaft – also eine Häufung von Belastungen. Die Folge können dann Anpassungsstörungen, Angsterkrankungen, depressive Störungen oder Essstörungen sein, emotionale Krisen oder Ähnliches. In der Tat sind es eher Mädchen, die dann betroffen sind, wobei auch Jungen mit diesen Störungsbildern bei uns sind“, schildert der Leitende Psychotherapeut Tobias Daub.
Daub, der die Tagesklinik leitet, stellt zudem fest: „Bei Mädchen werden Aufmerksamkeitsdefizite immer noch oft übersehen, weil sie sich anders äußern als bei Jungen. Auch depressive Störungen zeigen sich unterschiedlich. Manch männlicher Jugendlicher interpretiert seine depressiven Symptome möglicherweise als Schwäche, die er sich nicht eingestehen kann, manchmal auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erwartungen.“ Bei Jungen könnten sich depressive Störungen auch durch aggressives Verhalten, Schulabsentismus oder übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum ausdrücken.
Eine Besonderheit bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen: „Anders als im Erwachsenenalter sind die Diagnosen im Kinder- und Jugendalter weniger stabil. Das heißt, dass sich beispielsweise aus Ängsten im Kindesalter im weiteren Verlauf depressive Symptome entwickeln können und im späteren Jugendalter dann die Diagnose einer beginnenden Persönlichkeitsstörung ergibt. Wie die Kinder selbst entwickeln sich auch ihre Störungen.“ Die in der KJP bestehende Möglichkeit einer frühen Behandlung sei aus therapeutischer Sicht auch deshalb so hoffnungsvoll, „weil wir im jungen Alter besser Impulse für die Entwicklung in eine andere Richtung geben können“.
Den ganzen Artikel der Fuldaer Zeitung: https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/psychische-krankheiten-stoerungen-kinder-jugendliche-zunahme-fulda-behandlung-corona-93473180.html
Redaktion: Christopher Hess
Stand: 17.12.2024