Fuldaer Zeitung: Wenn der Krieg ins Kinderzimmer kommt (Wie spreche ich mit meinem Kind über den Krieg?)

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Arzt und Psychologe sprechen über den Umgang mit belastenden Nachrichten beim Gespräch mit dem Nachwuchs

Fulda – Nachrichten und Bilder aus dem Ukraine-Krieg erreichen auch Kinder. Wie Eltern damit umgehen können, erläutern Privatdozent Dr. Frank M.Theisen (Chefarzt) undDr. Jan Pauschardt (Leitender Psychologe) der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Herz-Jesu-Krankenhaus.

Zwangsläufig werden in diesen Tagen auch noch kleine Kinder sowie Kinder, die mit Situation wie aktuell in der Ukraine noch nicht konfrontiert waren, mit Bildern und Nachrichten aus dem Kriegsgebiet in Berührung kommen. In welchem Maße sollten Eltern dies zulassen, kontrollieren oder unterbinden?
Angesichts der breiten und intensiven Berichterstattung in den Medien wird es sich nicht vermeiden lassen, dass die Kinder mit solchen Bildern und Nachrichten in Kontakt kommen. Ein gänzliches Unterbinden dürfte daher nicht möglich sein, ist aber auch nicht sinnvoll.

Ist es überhaupt sinnvoll, die Geschehnisse in der Ukraine gänzlich von Kindern fernhalten zu wollen?
Genau das ist der Punkt. Da die Kinder ohnehin Informationen erhalten, ist eine kindgerechte Erläuterung der Hintergründe notwendig. Eine gewisse angemessene „Informationspolitik“ der Eltern gegenüber den Kindern ist wichtig, um den realen Sorgen begegnen zu können, aber auch, weil die Kinder sich sonst in Unwissenheit alles Mögliche ausmalen können. Es ist die Notwendigkeit eines altersangemessenen Umgangs mit erlebten Bildern bzw. der Realität, die sich im Leben ja häufiger ergibt.

Wie können sich Bilder auf die Seele und die psychische Verfassung von Kindern und Jugendlichen auswirken?
Nicht immer müssen Bilder unbedingt emotionale Spuren hinterlassen oder sich negativ auswirken. Jedoch können Bilder zu vielen Fragen führen oder verstörend, beängstigend oder je nach Resilienz also Widerstandskraft gar traumatisierend wirken.

Da Kinder quasi äußere Bilder und Ereignisse naturgemäß beziehungsweise instinktiv mit ihrem eigenen Selbst in Zusammenhang bringen, können belastende Inhalte hier persönlich besonders bedrohlich empfunden werden.

Inwiefern können Eltern ihren Kindern die Situation erklären?
Eine Informationsvermittlung durch die Eltern sollte immer altersangemessen erfolgen. Wenn man passiv abwartet, muss man vielleicht ad hoc und unvorbereitet Stellung beziehen. Wenn man das Thema aber selbst anspricht, kann ich mir vorher Gedanken machen wie ich es vermitteln möchte. Hierbei sollte man vereinfacht gesagt „qualitativ“ auf Inhalte und Intensität der Informationen achten, quantitativ auf die Dauer und Wiederholungen. Natürlich sind nicht alle Inhalte für
Kinder geeignet.

Und wie können sie ihnen eine Stütze sein, Gesehenes und Gehörtes zu verarbeiten und zu verkraften?
Grundsätzlich sollten Eltern versuchen, ihren Kindern Sicherheit zu vermitteln. Daher empfiehlt es sich nicht, Informationen zu gefühlsbetont beziehungsweise hochgradig emotional zu präsentieren. So werden starke Emotionsäußerungen, Betroffenheit und Beängstigung der Eltern aufgrund von Medieninformationen
von den Kindern gut beobachtet und registriert und dementsprechend auch als bedrohlich eingestuft. Das bedeutet nicht, dass man sich unecht oder ohne Empathie
zeigt, aber für das Sicherheitsempfinden wäre es ein Vorteil, auch bedrohlich wirkende Situationen möglichst nüchtern zu erklären. Hierbei sollte man dem Kind zugewandt und offen vermitteln, ohne eigene Sorgen zu stark zu betonen. Angesichts der aktuellen Situation keine leichte Aufgabe.

Auch in Formaten für die jüngere Generation – etwa in den Logo-Kindernachrichten – werden der Konflikt und der Krieg in der Ukraine thematisiert. Welche Formate halten Sie zur Nachrichtenvermittlung an Kinder für wertvoll und ab welchem Alter sind diese überhaupt sinnvoll?
Die Logo-Nachrichten sind ein gutes Beispiel. Das Online-Angebot ist für Kinder zwischen etwa acht und zwölf Jahren, für Kinder unter acht Jahren wären solche Nachrichten auch nicht geeignet. Bei besonders bedeutsamen Ereignissen ist es sinnvoll, diese zum Beispiel bei Logo gemeinsam mit den Kindern zu schauen. Dann kennen Sie auch die Inhalte und können danach in einer Art Nachbesprechung einen Raum für Fragen der Kinder schaffen. Aber auch hier die Begrenzung:
Man muss nicht täglich Logo-Nachrichten sehen. Positiv bei Logo ist auch, dass es eine Kopplung mit positiven Nachrichten gibt.

In der Ukraine haben wir es aktuell mit einem Krieg zu tun. Aber auch im Alltag und im näheren Umfeld gibt es „im Kleinen“ Geschehnisse wie Unfälle, oder auch Verbrechen und Gewalt. Wie sollten solche Ereignisse mit Kindern thematisiert und aufgearbeitet werden?
Vielleicht spielen Sie auch auf das Phubbing-Phänomen an, also die ständige Beschäftigung mit dem Handy. Man sollte hier grundsätzlich darauf achten, dass die Kinder den Eltern oder Älteren nicht ständig über die Schulter schauen. Wenn Kinder einmal altersunangemessene Informationen erhalten haben, empfiehlt es sich, diese nachzubesprechen und richtig einzuordnen. Auch hier gilt das Maß beziehungsweise Mittelmaß: Angesichts eigener Sorgen sollte man nicht ins Gegenteil umschwenken. Die Kinder haben feine Antennen. Ständige Beschwichtigungen wirken besonders verdächtig oder irritierend, wenn sie ängstlich präsentiert werden. Und trotz aller Betroffenheit darf es nicht verboten sein, mit den Kindern und für die Kinder auch Freude im Alltag zu bewahren.

 

PRAKTISCHE RATSCHLÄGE

An welchen Leitlinien können sich Eltern orientieren, wenn Kinder mit Gewalt, Krieg und Terror aber auch Krankheit und Unfällen in Berührung kommen? Als praktische Tipps raten Privatdozent Dr. Frank M. Theisen (Chefarzt) und Dr. Jan Pauschardt (Leitender Psychologe) der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda:

  1. DEM ALTER ANGEMESSEN: Insgesamt ein möglichst altersangemessener Informationszugang für die Kinder, auch im Hinblick auf die eigene elterliche Mediennutzung.
  2. QUALITÄT UND MENGE: Ausgewogenheit bei der Vermittlung von Informationen sowohl in Häufigkeit wie Intensität.
  3. AKTIVE BETEILIGUNG: Gemeinsam Informationen aufnehmen (zum Beispiel Logo), Angebote zum Austausch machen, auch für Nachbesprechungen.
  4. SICHERHEIT VERMITTELN: Informationen möglichst zugewandt, offen und gleichzeitig nicht zu emotional-bedrohlich vermitteln.
  5. ABLENKUNG UND BEGRENZUNG: Wieder auf die Alltagsthemen „im Hier und Jetzt“ zurückkommen.
  6. FREUDE ZULASSEN DÜRFEN: Trotz aller Betroffenheit darf es gerade im Sinne der Kinder nicht „verboten“ sein, im Alltag weiterhin Freude zu bewahren und zu vermitteln.

 

Quelle: Fuldaer Zeitung
Redakteur: Andreas Ungermann
Foto: Fuldaer Zeitung

Der vollständige Artikel: Fuldaer Zeitung – Wenn der Krieg ins Kinderzimmer kommt – Wie erkläre ich meinem Kind den Krieg?
(Stand: 21.03.2022 I online 23.03.2022)