Janina Trabert aus Petersberg bei Fulda ist eine von etwa einer Million Menschen in Deutschland mit der Diagnose Long Covid. Vor ihrer Erkrankung war sie Turnerin und arbeitete an Autos. Heute fehlt ihr oft die Kraft für Dinge wie Einkaufen und Duschen.
Petersberg – Zwei Etagen führen zu Janina Traberts Wohnung in Petersberg im Kreis Fulda Sie verdeutlichen, wie viel Kraft die Krankheit Long Covid der 23-Jährigen tagtäglich raubt – und wie alltägliche Dinge zur Herausforderung werden. „Nach ein paar Treppenstufen muss ich häufig eine Pause machen, weil mir die Luft fehlt“, sagt die Petersbergerin.
Sie berichtet, wie sehr die Krankheit sie einschränkt: „Wenn ich die Spülmaschine ausgeräumt habe, muss ich mich danach erst einmal hinlegen. Selbst das Aufdrehen einer Flasche, Einkaufen und Duschen sind immer eine Qual für mich“, berichtet die junge Frau.
23-Jährige leidet an Long Covid: Seit der Corona-Erkrankung nicht mehr erholt
Je mehr sie sich anstrengt, desto deutlicher machen sich die Auswirkungen von Long Covid bemerkbar. Manchmal liegt sie tagelang flach – geplagt von Kopfschmerzen, starken Gliederschmerzen und Muskelkater. „Es fühlt sich so an, als wäre ein Auto über mich gefahren“, beschreibt die Fahrzeugsattler-Meisterin.
Ihren Beruf kann sie derzeit nicht ausüben. Ob das irgendwann wieder möglich ist, ist unklar. „Am Anfang war das schwierig zu akzeptieren.“ Aber sie habe gelernt, damit zu leben.
Zu weiteren täglichen Begleitern der Krankheit zählen Gedächtnis-, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. Im Gespräch muss sie immer wieder ihre Mutter nach Begriffen fragen, die ihr nicht einfallen. „Manchmal vergesse ich sogar, dass ich gegessen habe“, sagt sie und blickt auf ihre im Handy eingetippten Stichpunkte, um nichts Wichtiges zu vergessen.
„Long Covid bezeichnet eine längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigung im Anschluss an eine Corona-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus geht“, sagt Prof. Dr. Bernd Kronenberger, Experte für Long Covid am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda.
„Die Symptome unterscheiden sich je nach Krankheitsbild sehr stark. Es gibt bis zu 300 verschiedene Symptome, die Long Covid bewirken kann. Häufig kommen Patienten mit Schwindel, kurzzeitiger Bewusstlosigkeit und Herz-Rhythmus-Störung. Aber auch Luftnot und Brustschmerzen gehören zu häufigen Symptomen. Die Beschwerden beginnen entweder bereits in der akuten Erkrankungsphase und bleiben längerfristig bestehen, oder treten Wochen und Monate nach der Infektion neu oder wiederkehrend auf.“
Der Gesundheitsexperte sagt zur Häufigkeit der Diagnose: „Long Covid sei nicht einfach zu diagnostizieren, weil die Kriterien für die Krankheit nicht eindeutig sind. Long Covid werde am häufigsten festgestellt, wenn der Patient vor einer Corona-Erkrankung topfit gewesen ist und danach Beschwerden wie Erschöpfung bleiben, die ihn einschränken.“
„Während die meisten Long-Covid-Patienten nach einigen Wochen oder Monaten wieder gesund sind, gibt es viele Betroffene, die so schwer erkranken, dass sie arbeitsunfähig werden und dauerhaft erschöpft sind. Bei diesen Betroffenen wird Long Covid häufig zu einer neuroimmunologischen Erkrankung mit dem Namen ME/CFS“, erläutert Prof. Dr. Kronenberger, „die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt.“
Vom Post-Covid-Syndrom spreche man, wenn die Symptome und Folgen der Erkrankung dauerhaft bestehen bleiben. „Daten zeigen, dass überwiegend Frauen anfällig für eine Erkrankung mit Long Covid sind. Tendenziell trifft es auch überwiegend Jüngere“, sagt Dr. Bernd Kronenberger.
„Ich schmecke und rieche seit meiner Infektion nichts mehr.“ Janina Trabert, Long-Covid-Patientin
Während sie die lange Liste der Symptome aufzählt, ist ihre Stimme ruhig. Trotz ihres Schicksals wirkt sie gefasst und wie eine 23-Jährige, die ganz normal ihr Leben leben kann. Seit Juni 2022 kann sie das nicht mehr: Zu dieser Zeit infiziert sich die Handwerksmeisterin mit Corona. Erholt hat sie sich von der Krankheit bis heute nicht.
An Long Covid Erkrankte fühlt sich von Ärzten nicht ernst genommen
Geimpft war Janina zum Zeitpunkt der Infektion dreimal, Corona positiv war sie fast drei Wochen. Schon damals musste sie wegen Atembeschwerden mehrmals ihre Hausärztin aufsuchen. An Asthma oder anderen Vorerkrankungen leidet sie nicht. Auch als sie nicht mehr Corona positiv war, blieb ihr Zustand unverändert. Sie suchte wieder ihre Hausärztin sowie weitere Fachärzte auf, darunter Neurologen und Lungenfachärzte.
„Bei einem Neurologen wurde zunächst ein Tumor ausgeschlossen“, blickt die junge Frau zurück. Als der Facharzt dies ausschließen konnte, „war mir sehr schnell klar, dass ich an Long Covid leide.“ Sie ging zu vier Lungenärzten – doch keiner wollte die Diagnose Long Covid stellen. „Es wurde immer mal wieder der Verdacht geäußert, aber keiner wollte es diagnostizieren“, so die 23-Jährige. „Es schien, als wolle sich niemand wirklich mit dem Thema befassen“, berichtet sie rückblickend.
Die Diagnose Long Covid und chronisches Fatigue Syndrom (CFS) erhielt sie im September 2023 – mehr als ein Jahr nach ihrer Corona-Infektion. Was die 23-Jährige bis heute am meisten belastet und ärgert: Viele Ärzte nehmen sie mit ihrer Krankheit nicht ernst, sagt sie. „Häufig höre ich, dass ich mir die Symptome nur einbilde und es psychisch sei“, sagt sie verärgert. „Ganz nach dem Motto: Eine junge Frau kann doch nicht so krank sein.“ Sie betont, dass sie frühzeitig abgeklärt habe, dass es sich nicht um eine psychische Erkrankung handle.
„Ich bin eine positive Person und gebe nicht auf“, sagt sie und hebt hervor, dass sie auch schon gute Ärzte getroffen hat. Besonders froh ist sie über ihre Hausärztin. Doch oft fühlen sich Ärzte nicht zuständig und beschäftigen sich erst nach mehrfacher Nachfrage ernsthaft mit ihren Beschwerden, sagt sie. „Häufig wollten mich Ärzte schon abweisen, ohne vorher überhaupt meine Akte zu lesen.“
Kontakt zu anderen Betroffenen im Internet
Nicht nur unzählige Arztbesuche hat die junge Frau hinter sich, im September 2023 war sie zudem in Reha. Die erhoffte Besserung ihres gesundheitlichen Zustands blieb aber aus: Es ging ihr danach noch schlechter. Falsche Behandlungsmethoden, falsche Medikamente – so das deutliche Urteil der jungen Frau. „Man ging dort überhaupt nicht auf mich als Patientin ein und machte nur das, wofür es Geld gibt.“
Ein gutes hatte die Reha-Zeit dennoch: „Ich kam dort mit anderen Long-Covid-Patienten in Kontakt.“ Zuvor hatte sie nur über Internet-Foren oder die sozialen Medien Kontakt zu anderen Betroffenen in Deutschland. „Es tut gut, zu wissen, dass man mit der Krankheit nicht alleine ist“, sagt die 23-Jährige. Neben dem Kontakt zu anderen Betroffenen geben ihr vor allem ihre Familie und Freunde, die sie zu Arztterminen begleiten, Halt.
Die Suche nach ärztlicher Behandlung geht für Trabert bis heute weiter. „Aktuell bin ich wieder auf Ärztesuche“, sagt sie. Die 23-Jährige hat nun zwar die Diagnose Long Covid, eine richtige Behandlung erhält sie seitdem aber nicht. Sie hat vor allem mit langen Wartelisten und Absagen zu kämpfen. Anlaufstelle für Betroffene wie Trabert sind die Corona-Ambulanzen, von denen es in Hessen insgesamt sechs gibt: in Frankfurt, Gießen, Marburg, Friedrichsdorf, Wiesbaden und Eschwege.
Corona-Ambulanzen in anderen Bundesländern, die freie Termine haben, darf sie nicht aufsuchen, da sie in Hessen gemeldet ist. Bei Trabert sorgt das für Unverständnis: „Wieso darf ich nicht zu einer Corona-Ambulanz in einem anderen Bundesland, wo es eigentlich freie Termine gibt? Nur weil ich aus Hessen komme, das macht doch keinen Sinn.“
Wartelisten und Absagen statt medizinischer Behandlung
Das Problem: „Dort steht man viele Monate auf der Warteliste.“ Und: Jede Corona-Ambulanz ist auf ein einzelnes Feld spezialisiert. Da Traberts Symptome so vielfältig sind, „müsste ich fast alle Ambulanzen abklappern.“ Zuletzt gab ihr die Zusage für eine Long-Covid-Behandlung in Rotenburg Mut. Doch der Termin, der im Juni hätte stattfinden sollen, wurde kurzfristig abgesagt. Einen Ersatztermin gibt es nicht.
Also geht es von vorne los: Jede Woche, wenn Sprechstunde ist, ruft Janina bei den Corona-Ambulanzen an, um mit etwas Glück doch einen schnellen Termin zu bekommen. Die Hoffnung, dass ihr ein Arzt helfen kann und sie eines Tages wieder ein normales Leben leben kann, will sie nicht aufgeben. „Ich glaube fest daran, dass es mir wieder besser gehen wird.“
Trotz aller Belastungen lässt sich die 23-Jährige die Freude am Leben nicht nehmen: In wenigen Wochen fährt sie mit ihrer Familie ans Meer. „Die Fahrt dorthin ist für mich zwar eine Katastrophe und ich liege danach erst einmal ein paar Tage flach, aber schon ein kurzer Atemzug am Meer und der Blick in die Ferne tun meiner Seele gut.“
Long Covid: Auch Ex-Bürgermeister und Ortsvorsteher betroffen
An Long Covid leidet seit mittlerweile fast vier Jahren auch Jürgen Hübl, Ortsvorsteher von Großenlüder. Er ist im Dezember 2020 an Corona erkrankt. Geimpft war er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doppelt geimpft war er erst ein halbes Jahr später. „Ich hatte erst einmal keinerlei Symptome. Eine Woche nachdem ich positiv geworden war, bin ich dann morgens wach geworden und habe kaum noch Luft mehr bekommen“, blickt der 57-Jährige zurück.
Nach einigen Tagen seien die Atembeschwerden wie weggeblasen gewesen. „Doch als ich dann Urlaub hatte, waren die Beschwerden wieder da: Ich habe kaum Luft bekommen, war so vergesslich, dass ich morgens meinen Namen nicht mehr wusste und konnte mich nicht konzentrieren“, schildert der Hausmeister.
Er ging zum Hausarzt. Die Diagnose: Long Covid. Fortan standen Besuche beim Lungenarzt, zahlreiche Kontrolltermine beim Hausarzt und Reha auf seinem Programm. Die Reha habe er abbrechen müssen, „weil ich mich überanstrengt hatte und gar nichts mehr ging“. Hübl sagt, dass er erst lernen musste, mit der Krankheit zu leben und die notwendige Geduld mitzubringen. „Ich wollte, aber konnte plötzlich nicht mehr. Das war vor allem zu Beginn schwer. Da fällt man erst einmal in ein ziemliches Loch.“ Erst im vergangenen Jahr hatte er eine depressive Phase, berichtet er.
Jochen Vogel, ehemaliger Bürgermeister von Bad Brückenau, hat wegen Corona-Langzeit-Folgen sein Amt aufgeben müssen. Die Entscheidung hatte er Ende 2023 getroffen. „Sie müssen sich das vorstellen wie bei einem alten Handy-Akku: morgens zu 100 Prozent geladen, mittags vielleicht nur noch zur Hälfte, und dann ist er schon früh am Tag ganz leer.“ So beschrieb Jochen Vogel seinen aktuellen Gesundheitszustand im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der ehemalige Bürgermeister aus Unterfranken war im März 2022 an Corona erkrankt – und hat sich bis heute nicht davon erholt. Auch dem 50-Jährigen verhalfen zwei Reha-Besuche nicht zu einer gesundheitlichen Besserung. Als einen der Gründe für seinen Rückzug hatte er angegeben, dass er sich immer weniger auf die Arbeit konzentrieren konnte und diese nicht mehr mit „vollem Elan“ ausführen konnte.
Auch alltägliche Dinge fallen ihm wegen der andauernden Erschöpfung immer schwerer. „Es geht kein Sport mehr, es geht kein Wandern mehr“, sagt der nun wegen dauerhaften Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte 50-Jährige.
Selbsthilfegruppe Fatigatio
Fatigatio e.V. ist eine bundesweit und regional organisierte Selbsthilfegruppe für Angehörige und Betroffene von ME/CFS, die sich 1993 gegründet hat. In der Selbsthilfegruppe soll die Möglichkeit geschaffen werden, sich auszutauschen. Außerdem will Fatagio erreichen, dass ME/CFS bundesweit als organische Erkrankung anerkannt wird und eine flächendeckende Infrastruktur an Kliniken, Hausärzten und Pflegern angeboten wird.
In Hessen gibt es Selbsthilfegruppen in Fulda und Frankfurt. Die Selbsthilfegruppe in Fulda trifft sich jeden dritten Dienstag im Monat in Präsenz und online. Vor der ersten Teilnahme wird um Kontaktaufnahme per E-Mail an rg.fulda.osthessen@fatigatio.de mit Angabe der Telefonnummer oder unter (0661) 9019846 gebeten.
Den ganzen Artikel der Fuldaer Zeitung online: https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/corona-long-covid-fulda-junge-frau-petersberg-alltag-leiden-krankheit-bernd-kronenberger-93175772.html
Redaktion: Christopher Hess
Stand: 08.07.2024