Fuldaer Zeitung: Dritte Welle bringt „Flut von Essstörungen“ (KJP)

Startseite » Fuldaer Zeitung: Dritte Welle bringt „Flut von Essstörungen“ (KJP)

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie Fulda werden momentan viele Patienten mit Essstörungen behandelt. Frank Theisen und Mardjan Ghahreman-Feysabadi sehen die Ursache – auch – in der Pandemie.

Seit Beginn 2021 häufen sich die Patientenzahlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP). Dr. Frank Theisen (52), Privatdozent und Chefarzt der KJP am Herz-Jesu- Krankenhaus, spricht von einer „Flut von Essstörungen“. Im Interview erklären er und Oberärztin Dr. Mardjan Ghahreman- Feysabadi (49) die Hintergründe.

Mitte Mai schlugen Kinderärzte Alarm. Sie sprachen von einer Triage in Kinder- und Jugendpsychiatrien. Haben Sie Patienten ablehnen müssen, weil die Plätze belegt waren?

Theisen: Der Begriff „Triage“ bezeichnet vereinfacht eine Einteilung in Kategorien im Notfall. Wir wägen immer verschiedene Faktoren wie Schweregrad, Alter oder auch die Verfügbarkeit von alternativen Hilfsmodellen mit niedergelassenen Kollegen, Psychologen und Kinderärzten ab. Dass bei einem Notfall jemand nicht gesehen wird, ist völlig ausgeschlossen. Wir haben für Notfälle immer Zeit, rund um die Uhr. Unsere KJP obliegt ja auch der Versorgungsauftrag des Landes Hessen für die Landkreise Fulda, Hersfeld-Rotenburg und den nordöstlichen Main-Kinzig- Kreis. Dieser war nie auch nur annähernd gefährdet.

Dennoch haben die Zahlen während Corona auch bei Ihnen zugenommen. Von welchen Zahlen sprechen wir?

Ghahreman: Wir haben eine deutliche Zunahme und Umverteilung von Störungsbildern festgestellt. Gerade in der dritten Welle seit 2021 haben wir eine starke Zunahme von Patienten mit einer Essstörung erlebt, aber auch von depressiven Störungen, schulbezogenen Störungen oder einer Medienabhängigkeit.

Theisen: Man kann wirklich sagen, dass wir eine große Flut von Essstörungen haben. Normalerweise werden mit diesem Störungsbild bei uns etwa zwei bis vier zumeist Mädchen vollstationär behandelt. Im Moment sind es zwölf, und in den nächsten Tagen kommen noch zwei weitere hinzu. Die Zahlen sind etwa drei- bis viermal so hoch wie vor der Pandemie. Das ist übrigens eine Entwicklung, die alle hessischen Kliniken beobachten.


Warum ist eine Essstörung gerade in der Pandemie ein Thema?

Theisen: Corona ist ein zusätzlicher Stressor, der bei allen, die an der Grenze zu einer Störung stehen, den Schub in die Erkrankung befördert. Die Pandemie wirkt da wie ein Brandbeschleuniger. Es geht bei den Fällen nicht nur um Neuentwicklungen, sondern auch um Rückfälle bereits genesener Patienten. Rein von den Zahlen her und unseren Beobachtungen können wir sagen, dass Essstörungen aber auch Depressionen einen stärkeren Coronabezug haben als andere Störungen.

Ghahreman: In dem Moment, in dem die Tagesstruktur wegfiel, weil zum Beispiel kein Präsenzunterricht mehr stattfand, hatten die Schüler und Schülerinnen mehr Zeit zum Grübeln. Essstörungen sind oft ein schleichender Prozess. Bei einigen Betroffenen gab es keinen speziellen Auslöser, sondern eher zunächst den Wunsch, dem Leben durch die Beschäftigung mit Sport und Ernährung wieder eine Struktur zu geben.


Zum Download der vollständigen Veröffentlichung: Fuldaer Zeitung: Dritte Welle bringt „Flut von Essstörungen“ I Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger.