Fuldaer Zeitung: Corona und Übergewicht: Wenn die Lebensqualität leidet
Langfristige Folgen drohen
Corona und Übergewicht: Wenn die Lebensqualität leidet – das raten Experten aus Fulda
Die Corona-Pandemie stellt den Alltag vieler Menschen auf den Kopf – und das macht sich auch bei der Ernährung bemerkbar. Immer mehr Menschen haben Übergewicht. Auch Kinder sind betroffen. Zwei Experten aus Fulda äußern sich.
Fulda – Schnell etwa Süßes statt ein warmes Mittagessen – im Corona-Lockdown schaffen es nicht alle sich gesund zu ernähren. Vor allem bei Kindern könnten die Corona-Pfunde langfristige Folgen haben. Worauf es in Sachen Ernährung ankommt, das erklären Prof. Dr. Bernd Kronenberger sowie Privatdozent Dr. Frank M. Theisen, zwei Chefärzte am Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda.
Ernähren wir uns in der Corona-Pandemie anders als vorher?
Bernd Kronenberger: Ja. Mehr Homeoffice und die Lockdown-Maßnahmen während der Pandemie haben natürlich Einfluss auf unsere Ernährungsgewohnheiten. Das Essen in der Kantine oder in guter Gastronomie fällt weg. Gerade in Kantinen wird zunehmend auch auf gesundes, vielseitiges und hochwertiges Essen geachtet. Die hochwertige Gastronomie ist zugunsten von Fast Food gewichen. Damit haben die Menschen eine hohe Eigenverantwortung. Wer sich nicht über gesunde Ernährung informiert oder sorgt, der ist weniger gut ernährt.
Momentan haben wir doch eigentlich viel mehr Zeit zum Kochen. Trotzdem schlagen Studien zum Übergewicht Alarm.
Bernd Kronenberger: Kochen muss aber gelernt sein, und es benötigt Zeit. Das schreckt so manchen ab. Selbst kochen bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, dass das Essen auch gesund ist. Nudelgerichte sind einfach und gehen schnell, haben aber leider einen hohen Energiegehalt. Fertig- und Tiefkühlgerichte sind leicht zu bekommen, schnell zubereitet, geschmacklich oft gut, aber leider nicht wirklich gesund. Das liegt daran, dass Energie- und Salzgehalt meist sehr hoch sind.
Frank M. Theisen: Essen löst zudem in der Regel ein positives Gefühl aus. Den meisten von uns geht es gut nach einer sättigenden Mahlzeit. Das kann sogar bis zur Entspannung führen. Gerade in Phasen mit schlechter Stimmung und Unzufriedenheit, wie wir sie gerade auch in der Pandemie erleben, kann Essen daher als Ausgleich dienen. Hinzu kommen reduzierte Bewegungsangebote durch den Wegfall von sportlichen Vereinsaktivitäten und bewegungsbezogenen Hobbys. Summiert kann dies schließlich zu Übergewicht führen.
Wo lauern Kalorienbomben?
Bernd Kronenberger: Softdrinks sind ein großes Problem, weil sie einen hohen Energiegehalt haben, aber nicht als Nahrung wahrgenommen werden (ein Liter Softdrink entspricht einer großen Mahlzeit!). Auch Milch hat einen hohen Energiegehalt und muss als Ernährung gesehen werden. Will man den Durst durch Softdrinks löschen, nimmt man unbemerkt große Energiemengen auf und kann seinen Durst nicht ausreichend stillen. Der Zuckergehalt macht oft noch mehr Durst und regt den Appetit an. Ein großes Problem sind auch Nahrungsmittel mit einem ungünstigen Fett-Zucker-Verhältnis, die nicht satt machen, etwa Nuss-Nougat-Cremes und Chips. Diese Nahrungsmittel sollte man generell meiden.
Vor allem Familien und Kinder mit niedrigem Bildungsstand sind von Übergewicht betroffen.
Frank M. Theisen: Familien mit geringen Ressourcen sind in Krisenzeiten in der Regel besonders stark betroffen, so auch in diesem Bereich, ob dies ausschlaggebend ist, ist aber fraglich.
Bernd Kronenberger: Ich denke, das Bewegungsangebot spielt hier eine Rolle. Wer im Corona-Lockdown eine kleine Wohnung und keinen Garten hat, kann sich nicht ausreichend bewegen. Gerade für Kinder ist das schlimm. Besonders gefährlich ist es dann, wenn das verminderte Bewegungsangebot durch Essen als Zeitvertreib ersetzt wird.
Unterschätzen wir Übergewicht? Fehlt uns das Bewusstsein?
Bernd Kronenberger: Das würde ich so nicht sagen. Jeder Mensch weiß, dass Übergewicht schädlich ist. Im Gegenteil, das Bewusstsein ist da, die Menschen werden in den (sozialen) Medien mit Idealen konfrontiert. Daraus entsteht aber eher Frust und Resignation. Die Patienten wollen schon gerne abnehmen, aber leider gelingt es ihnen oft nicht.
Was sind die gesundheitlichen Gefahren von Übergewicht?
Bernd Kronenberger: Übergewicht macht inaktiv und die Gelenke kaputt – das führt zu einem Teufelskreis. Langfristig entwickeln sich ernste Erkrankungen der Organe, die zu einem früheren Tod führen können. Die größten Gefahren sind Herzinfarkte, Schlaganfall, Diabetes, Nierenerkrankungen, Fettleber oder Durchblutungsstörungen. Durch Übergewicht hat man außerdem große Einbußen in der Lebensqualität, besonders durch die Folgen von Diabetes: Schädigungen der Augen, Gefühlsstörungen und Wunden schränken besonders ein.
Homeoffice, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung – wie windet man sich und seine Kinder aus diesen Belastungen wieder heraus?
Frank M. Theisen: Die Corona-Pandemie erzeugt Entstrukturierung und den Wegfall vieler Termine. Diese haben vorher zu Aktivitäten und Abwechslung geführt. Deshalb ist es wichtig, konsequenter als früher und eigeninitiativ Aktivitäten zu planen und durchzuführen. Der „innere Schweinehund“ steht dem manchmal im Weg, auch weil mögliche Aktivitäten eher eintöniger erscheinen, etwa Joggen, Fahrradfahren oder Spazierengehen. Fitness-Studio, Fußball oder „auf Achse“ sein bei kulturellen Erlebnissen machen da mehr Spaß. Doch wenn einem dies zumindest in einem gewissen Maße gelingt, ist es doppelt hilfreich. Besonders mit Blick auf unsere Kinder. Sie schauen sich viel vom Verhalten der Eltern ab.
Bernd Kronenberger: Das sehe ich auch so. Ein geregelter Tagesablauf ist wichtig, gepaart mit gesunder Ernährung ohne Softdrinks und ungesunden Snacks. Familien sollten zudem gemeinsame feste Essenszeiten einhalten. Und einmal am Tag sollte etwas Frisches, vor allem Gemüse, gegessen werden. Will man abnehmen, muss man die Energieaufnahme reduzieren. Wem die klassische Reduktionsdiät nicht liegt, sollte es mit Intervallfasten oder zeitlich begrenztem Essen probieren, zum Beispiel die 16:8-Diät, bei der man acht Stunden am Tag essen darf und 16 Stunden lang fastet. Der große Vorteil ist, dass man sich einmal am Tag satt essen darf. Mit Apps kann man die Diät gut steuern.
Worauf sollten wir generell achten, wenn es um die richtige Ernährung geht?
Bernd Kronenberger: Die ultimative gesunde Ernährung gibt es nicht. Man sollte jedoch Schädliches wie Nahrungsmittel mit einem hohen Zuckergehalt, viel Salz, schlechten Fetten oder einem ungünstigen Fett-Zucker-Verhältnis sowie Giftstoffe wie Alkohol meiden. Die Ernährung sollte Gemüse beinhalten, dies ist sogar wichtiger als Obst und Vollkorn. Weizen und verwandte Getreide können den Appetit anregen und auch Unverträglichkeiten verursachen. Wenn man nicht aufpasst, hat man in jeder Mahlzeit Weizen, also besser auch einmal Kartoffeln, Mais oder Reis statt Nudeln und Brot als Sättigungsbeilage nehmen. Außerdem sollte man auf genug Bewegung achten. Und: Als Lektion von Intervallfasten ruhig versuchen, lange Nahrungspausen einzuhalten, etwa keine Mahlzeit nach 18 Uhr.
Hintergrund: Zur Person
Prof. Dr. med. Bernd Kronenberger ist Chefarzt der Inneren Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie und Kardiologie im Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda. Privatdozent Dr. med. Frank M. Theisen ist Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Herz-Jesu-Krankenhaus.
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Quelle: Lisa Krause: Corona und Übergewicht: Wenn die Lebensqualität leidet, in: Fuldaer Zeitung, 13.05.2021.