Fulda – Instagram verschärft den Jugendschutz und will Kinder und Jugendliche künftig besser vor problematischen Inhalten schützen. In den USA, in Kanada, Großbritannien und Australien sind bereits neue Regelungen in Kraft. Auch in Europa und damit auch in Deutschland – sollen sie ab 2026 greifen. Dr. Oliver Nass, Leitender Psychologe/Psychotherapeut in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Herz-Jesu-Krankenhauses, begrüßt die neuen Schutzmaßnahmen grundsätzlich – sieht darin jedoch auch neue Herausforderungen.
Wie aus Berichten hervorgeht, will Instagram jugendlichen Nutzern künftig nur noch Inhalte ausspielen, die den sogenannten PG-13-Vorgaben („Parental Guidance“) entsprechen. Eine vergleichbare Einstufung in Deutschland ist die FSK 12, wie man sie aus dem Kino kennt. Inhalte, die etwa Drogenkonsum oder realistische Gewalt zeigen, sollen Kindern unter zwölf Jahren künftig nicht mehr angezeigt werden. Für Teenager zwischen 13 und 17 Jahren hat Instagram bereits spezielle Teen-Konten eingeführt. Diese unterliegen strengeren Einstellungen – etwa wird bei Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jahren das Profil automatisch auf „privat“ gestellt. Die Maßnahmen zielen darauf ab, Kinder und Jugendliche vor verstörenden oder entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen – ein Anliegen, das der Fuldaer Psychotherapeut ausdrücklich unterstützt.
„Ich halte jede Maßnahme, die Kinder vor schädlichen Inhalten schützt, für sinnvoll – auch wenn sie nicht alle Probleme lösen wird“, sagt Nass. Besonders in Sozialen Medien könne man sich schnell verlieren – vor allem durch die Kurzweiligkeit und schnelle Abfolge der Inhalte. „Wenn diese dann auch noch gewalthaltig oder anderweitig negativ sind, ist jede Form von Kontrolle zu begrüßen“, so Nass. Ein drastisches Beispiel dafür sei ein Video vom Frankfurter Bahnhof, in dem ein Mann von hinten erschossen wurde. „Das ging so schnell, dass man eigentlich keine Möglichkeit hatte, es nicht zu sehen“, erklärt der Psychotherapeut. Solche Inhalte könnten Kinder und Jugendliche massiv überfordern – vor allem, weil sie oft nicht darüber sprechen: „Viele Jugendliche gehen mit solchen Erlebnissen nicht zu ihren Eltern, aus Angst, dass sofort alles verboten wird.“ Die neuen Regelungen könnten hier präventiv helfen, weil solche Inhalte gar nicht erst angezeigt werden.
Eltern zu Akteuren im digitalen Alltag ihrer Kinder machen
Nass betont, dass Social Media vor allem eine Frage der Dosis sei: „Je mehr konsumiert wird, desto größer ist die Gefahr, dass Probleme auftreten – oder schwieriger zu vermeiden sind.“ In diesem Zusammenhang verweist er auf regionale Modelle wie das sogenannte „Solinger Abkommen“, bei dem Eltern, Schulen und Jugendliche gemeinsam Vereinbarungen zur Begrenzung der Medienzeit treffen – auch außerhalb der Schule. „Solche Modelle werden inzwischen auch hier in der Region geprüft“, sagt er. Er sieht in den neuen Regelungen eine erste echte Möglichkeit, elterliche Kontrolle wieder zu stärken: „Eltern werden dadurch wieder mehr zu Akteuren im digitalen Alltag ihrer Kinder – und das ist dringend nötig.“
Ein weiteres Risiko sieht der Psychotherapeut in der Funktionsweise der sozialen Netzwerke selbst: „Jugendliche laufen Gefahr, durch Likes und Dislikes in eine Filterblase zu geraten.“ Dadurch sähen sie nur noch bestimmte Inhalte oder Meinungen – ein Phänomen, das die Wahrnehmung stark verengen könne: „Dann denken sie: Alle haben diese Meinung. Das erschwert die Fähigkeit zur kritischen Reflexion.“ Selbst Inhalte ohne Gewalt können laut Nass belastend wirken. Viele Jugendliche bekämen den Eindruck, dass „alle immer im Urlaub sind“ – was zu einer Verzerrung der Realität führe. „Es fehlt oft die Vergleichsmöglichkeit, und das führt zu Unsicherheiten, Rückzug oder sogar Ängsten“, erklärt der Psychotherapeut. Besonders problematisch sei auch die Idealisierung des Körpers durch Filter und Bearbeitungen: „Kaum ein Bild wird unbearbeitet hochgeladen – die Haut glatter, die Haare gefärbt – das vermittelt ein unrealistisches Bild von Schönheit. Viele Jugendliche schämen sich dann für ihr reales Aussehen.“ Eine allgemeine Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder, wie sie in Frankreich existiert, hält Nass deshalb für sinnvoll.
Zwischen Schutz und Abschottung
Gleichzeitig warnt der Psychotherapeut davor, Jugendliche zu sehr abzuschotten: „Man muss aufpassen, dass informative Inhalte weiterhin zugänglich bleiben, damit Jugendliche nicht in ihrer Komfortzone verharren.“ Der Zugang zu gesellschaftlich relevanten Themen, politischer Bildung oder realitätsnahen Inhalten dürfe nicht verloren gehen: „Wir dürfen nicht in eine fiktive Welt abrutschen, wie in Mangas – da besteht die Gefahr, dass sich Jugendliche von der Wirklichkeit entfernen und sich nicht mehr trauen, sich selbst zu zeigen.“
Dosis bleibt entscheidend
Trotz aller Regelungen bleibe die Nutzungsdauer ein zentrales Problem. „Auch wenn der Inhalt weniger schädlich ist – wenn die Summe zu groß ist, überfordert es dennoch“, sagt Nass. Der Einfluss sozialer Medien sei enorm – auch auf die emotionale Entwicklung: „Jugendliche ab etwa 16 Jahren entwickeln langsam eine gewisse Medien-Souveränität. Jüngere dagegen werden regelrecht magisch von ihrem Handy angezogen – genau damit arbeiten die Plattformen.“ Nass, selbst Vater von zwei Kindern, beobachtet die Entwicklungen mit großem Interesse: „Ich bin gespannt, ob ein angepasster Konsum langfristig entlastend wirkt – für Jugendliche und Eltern.“ Sollte das der Fall sein, wäre das aus seiner Sicht „eindeutig zuträglich zum Jugendschutz“.
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Redaktion: Osthessen Zeitung
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(Stand: 31.10.2025)