Suchtverhalten, Psychosen und schädliche Entwicklungen, gerade für Jugendliche bis zur Volljährigkeit und Heranwachsende bis 20: Der Deutsche Bundestag hat am Freitag für eine Teil-Legalisierung von Cannabis für Menschen über 18 Jahren abgestimmt. Privatdozent Dr. med. Frank M. Theisen, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda, warnt vor einer Verharmlosung der Folgen von Cannabis-Konsum, speziell mit Blick auf Jugendliche.
In Einzelfällen können Cannabis enthaltende Medikamente bereits jetzt als Arzneimittel ärztlich verordnet werden, erläutert Dr. Theisen, der die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Herz-Jesu-Krankenhaus leitet. Das gelte zum Beispiel für Patienten mit schweren Tic-Störungen, Schmerzen oder bei Übelkeit im Rahmen einer Chemotherapie. „Auf die Legalisierungs-Vorteile einer verbesserten Drogen-Qualität (weniger Verunreinigungen) und Ent-Stigmatisierung wird immer wieder hingewiesen“, stellt der Mediziner fest. Das Ausmaß gesamtgesellschaftlicher Vorteile wie etwa wirtschaftliche Profite mit Steuereinnahmen in Milliardenhöhe sei schwer zu überblicken. „Es ist eine Entscheidung der politischen Verantwortungsträger, für unsere Bevölkerung die kalkulierten Vorteile an dieser Stelle gegen die Nachteile abzuwägen“, erklärt der Chefarzt.
Die medizinischen Nachteile seien bekannt, in zahlreichen Studien belegt und unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) publiziert worden, erzählt der Mediziner: „Bei einem Anstieg des Konsums drohen weitere Suchtentwicklung, negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit wie Depression, Angststörungen, Suizidalität.“ Durch Cannabiskonsum in der Schwangerschaft würden Frühgeburten und kindliche Entwicklungsstörungen drohen. Cannabiskonsum könne außerdem eine Psychose auslösen sowie deren Verlauf verschlechtern. „Es gibt Beispiele nach Cannabis-Legalisierung für die Steigerung cannabisbedingter Vergiftungsfälle und entsprechender Krankenhausaufenthalte, sowie den Anstieg von Suiziden und tödlichen Verkehrsunfällen im Zusammenhang mit Cannabiskonsum“, berichtet Theisen.
Cannabis schadet der Hirnreifung
Mit Einführung des Gesetzes dürfen junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren pro Monat 30 Gramm Marihuana legal konsumieren, bei Personen über 21 sind es bis zu 50 Gramm pro Monat. Diese Dosis-Angaben würden fälschlicherweise einen wissenschaftlichen Zusammenhang mit Wirksamkeit und Verträglichkeit im Sinne einer gewissen Unbedenklichkeit wie bei Arzneimitteln vermitteln, bemängelt Dr. Theisen: „Allerdings können je nach genetischer Anfälligkeit bereits geringste Cannabis-Mengen eine Psychose auslösen.“ Die Hirnreifung bei Menschen ende nicht mit der gesetzlichen Volljährigkeit, sondern gehe biologisch bis über das 25. Lebensjahr hinaus: „Zu den Befunden schädlicher Einflüsse durch Cannabis auf die Hirnreifung zählen strukturelle und funktionelle Gehirn-Veränderungen.“ Zwar variiere die Menge an Cannabis je nach Mischverhältnis mit Tabak in einem Joint, die Menge von 30 Gramm im Monat entspräche mehreren Joints pro Tag. „Ebenfalls entscheidend ist der THC-Gehalt, der je nach Hanfpflanze variiert. Insofern stellen sich in der Tat Fragen nach den Gramm-Angaben bezogen auf einen ‚Freizeitkonsum‘, einem ‚kontrolliertem Umgang‘ und der Sicherstellung der gesetzlichen Konsum-Höchstgrenzen“, fasst der Mediziner zusammen.
Während der erwähnten Reifung bis zum 25. Lebensjahr würde das Gehirn besonders sensibel auf toxische Substanzen reagieren, berichtet der Chefarzt der KJP: „Es geht hier nicht nur um kurzfristige Effekte wie Rauschzustand mit subjektivem Wohlbefinden und Entspannung, auch um mögliche Angst, Panik, Verwirrtheit, Gleichgültigkeit, Motivationsverlust, Leistungsminderung.“ Es gebe Befunde ungünstiger Cannabis-Einflüsse, die sich konkret im Gehirn unter anderem auf die Nervenzellen-Vernetzung auswirken würden, welche sehr wichtig für die mentale Leistungsfähigkeit sind. „Neben strukturellen und funktionellen Gehirn-Veränderungen gibt es Befunde mit Einbußen in Gedächtnis, Lernen, Denkleistungen und Intelligenz“, so Theisen. Das Risiko von Cannabis sei jüngeren Menschen häufig nicht bewusst. Zu der jugendlichen „Neugier“ für den Konsum komme potenziell der Einfluss durch die Peer Group an Freunden.
Konsum-Anstieg bei Jugendlichen droht
Wenn sich die aus anderen Ländern bekannte Entwicklung einer Cannabis-Legalisierung auf Deutschland übertragen lasse, sei von einem Anstieg an den genannten Störungen und Problemen für Teile der Bevölkerung auszugehen, meint der Mediziner. Statistisch werde dies nicht vollumfänglich erfasst werden und die Dunkelziffer könne höher liegen. Ebenso könne es zu einem Anstieg von cannabisbedingten Vergiftungsfällen und Krankenhausbehandlungen kommen. „Besonders besorgniserregend ist die beobachtete Zunahme von Suiziden sowie tödlicher Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Cannabiskonsum“, führt er weiter aus. Schließlich drohe bei Jugendlichen ein Anstieg des Konsums von Cannabis, welches sie von über 18-Jährigen Cannabis-Konsumierenden zum Beispiel aus ihrer Peer Group erhalten könnten.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Herz-Jesu-Krankenhauses sei dem Team ein wertschätzender Umgang mit jedem Ratsuchenden wichtig, gibt der Chefarzt an. Dies erfolge ohne den moralischen Zeigefinger oder die Stigmatisierung mit Begriffen wie „Kiffer“ gegenüber Konsumierenden von Cannabis oder anderen Drogen. „Die Reduktion der Legalisierung auf eine ‚Ent-Kriminalisierung‘ wäre eine Verharmlosung angesichts der nach Cannabis-Legalisierungen beobachteten Entwicklungen. Wir hoffen, die Effekte fallen geringer aus, als die Befunde erwarten lassen“, so Theisen abschließend.
Den vollständigen Beitrag unter Osthessen Zeitung: https://www.osthessen-zeitung.de/einzelansicht/news/2024/februar/sorge-ueber-cannabis-legalisierung-chefarzt-warnt-vor-verharmlosung.html
Redaktion: Andreas Schellenberg – Osthessen-Zeitung
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(Stand: 24.0.2024)