Interview mit dem Leitenden Psychologen des Fuldaer Herz-Jesu-Krankenhauses zur höchst aktuellen Thematik
Fulda. Kinder und Jugendliche sind in diesen Zeiten verschiedenen psychischen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören die seit mehr als zwei Jahren andauernde Corona-Pandemie, die Situation in den Schulen der vergangenen Monate und auch der Krieg in der Ukraine.
Wie sich diese Ereignisse auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirken können und welche Maßnahmen Eltern und Erziehungsberechtigte ergreifen können, hat GESUNDE SEITEN Dr. rer. nat. Jan Pauschardt, den Leitenden Psychologen der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda gefragt.
GESUNDE SEITEN: Aktuell herrscht in der Ukraine Krieg. Treten bei Kindern und Jugendlichen deswegen vermehrt Ängste auf?
JAN PAUSCHARDT: Sowohl im privaten Rahmen als auch in unserer Klinik ist der Krieg in der Ukraine natürlich ein Thema bei Kindern und Jugendlichen. Neben Erwachsenen haben auch Kinder und Jugendliche Sorgen, Ängste und Verständnisfragen bei diesem, uns alle betreffenden, historischen Zeitgeschehen. In unserer Klinik findet das Thema – je nach Bedarf des Einzelnen – Eingang in die Gespräche und Therapien. Psychiatrische Vorstellungen sind deswegen bei uns noch nicht erfolgt.
GS: Wenn Kinder/Jugendliche Zukunftsängste entwickeln: Wie kann man helfen, entgegenwirken und therapieren?
PAUSCHARDT: Hier gilt es zunächst einmal zu unterscheiden: Haben Zukunftsängste einen realen Hintergrund – so wie im aktuellen Krieg – sind diese erst einmal vollkommen normal und haben nichts mit einer psychischen Auffälligkeit zu tun. Hier ist es wichtig, zunächst die angemessenen Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, ihnen im familiären Rahmen Raum zu geben und Kindern Orientierung und Sicherheit zu vermitteln.
Es gibt jedoch auch übersteigerte Ängste, die ein bestimmtes Ausmaß überschreiten und unter denen man als Betroffener sehr leidet. Diese Ängste schränken dann meist den Alltag stark ein, beeinträchtigen beispielsweise den Schlaf, führen zum Rückzug von Gleichaltrigen oder behindern den Schulbesuch. In solchen Fällen sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden.
GS: Wie sollten Eltern und Erziehungsberechtigte am besten mit ihren Kindern über das Thema Krieg sprechen?
PAUSCHARDT: Als Eltern sollte man ruhig und mit einem offenen Ohr auf die Kinder zugehen, also in einer unsicheren Zeit Sicherheit vermitteln und helfen, Gesehenes oder Gehörtes einzuordnen. Eine altersangepasste Informationsvermittlung kann hier helfen, unter anderem das „ZDF“-Kindermagazin „Logo“, das für Acht- bis Zwölfjährige altersgerecht Nachrichten vermittelt. Gemeinsam eine Sendung schauen, und in der Familie über die Ereignisse sprechen, um den Kindern hier Orientierung zu bieten. Man sollte als Eltern darauf achten, dass das Thema nicht zu viel Raum einnimmt.
Auch sollten Eltern versuchen, eigene Sorgen und Ängste nicht auf die Kinder zu übertragen, zum Beispiel durch wiederholte Schilderungen eigener Sorgen und Aufwerfen ungeklärter Fragen. Hier hilft ein eher sachlich-nüchterner Umgang mit dem Thema. Gleichzeitig sollten die Sorgen der Kinder ernst genommen werden und die Eltern versuchen, diese offen sowie zugewandt zu beantworten. Auch Eltern können nicht alles wissen und können auch nicht die Zukunft vorhersagen, was man den Kindern auch so vermitteln kann. Wichtig ist hierbei in der Elternrolle zu bleiben, und Hilfe, Unterstützung sowie gemeinsame familiäre Bewältigungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
GS: Sollte man vor allem kleineren Kindern die Nachrichten von zerbombten Städten zeigen?
PAUSCHARDT: Über den Krieg mit kleineren Kindern sprechen ist sehr wohl möglich, hierbei sollten zuversichtliche Mitteilungen im Vordergrund stehen. Somit gibt es kein „Ansprechverbot“. Dennoch müssen die Kinder ab einem gewissen Punkt geschützt werden. Hier sollten Eltern von Kindern sehr wohl darauf achten, wie Medien in der Familie konsumiert werden. Hier ist ein begrenztes und bewusstes Schauen von Nachrichten, die nicht „einfach nebenher laufen“ hilfreich. Nachrichten und Bilder von Kriegsszenen oder zerbombten Städten können für Kinder sehr verstörend wirken, weshalb Eltern hier regulierend eingreifen sollten.
GS: Welche Unterschiede gibt es dabei beim Gespräch mit Jugendlichen?
PAUSCHARDT: Jugendliche haben natürlich komplexere und weiterführende Gedanken und entwicklungsbedingt vielleicht auch manchmal eine abweichende Haltung oder Meinung den Eltern gegenüber, wohingegen das kindliche Weltbild natürlich einfacher ist. Im Gegensatz zu Jugendlichen übernehmen Kinder häufig die Einstellungen und Meinungen der Eltern, auch dies sollte im Gespräch mit ihnen berücksichtigt werden.
GS: Welche deutlichen Folgen können sich aus einer Angst vor Krieg entwickeln?
PAUSCHARDT: Folgen können zum Beispiel eine andauernde Anspannung, hohe innere Unruhe, Stimmungsverschlechterungen, Schlafstörungen oder ein sozialer Rückzug sein. Bei Fortbestehen dieser Symptome können sich psychische Störungen entwickeln, die deutlich den Alltag des Betroffenen beeinträchtigen können und einer Behandlung bedürfen.
GS: Wenn Kinder Angst vor Krieg und/oder Atomwaffen haben, Eltern aber auch: Wie kann solchen Ängsten entgegengewirkt werden? Und muss man da überhaupt entgegenwirken?
PAUSCHARDT: Wir Menschen haben schon immer Kriege geführt und grausame Waffen eingesetzt, unter anderem auch zur Angsterzeugung beziehungsweise Abschreckung. Somit bilden entsprechende Ängste einen Teil unserer Geschichte und Realität ab. Emotional hilfreich kann hier eine eher rationale Auseinandersetzung mit dem Thema sein. Dabei sollten vor allem auch die vielen hilfreichen und effektiven Maßnahmen zur Verhinderung von Kriegen betont werden, wie politische Bündnisse (beispielsweise die Nato) oder internationale Verträge zur Begrenzung von Atomwaffen. Dies kann auch schon mit Grundschulkindern auf eine altersangemessene Art erfolgen und zur Beruhigung beitragen. Merkt man jedoch, dass die kindlichen Ängste „aus dem Ruder laufen“ und beginnen, den Alltag deutlich zu beeinträchtigen, sollte man sich professionelle Hilfe suchen.
GS: An wen können sich Betroffene beziehungsweise deren Eltern wenden, wenn sie bei ihrem Kind solche Ängste feststellen?
PAUSCHARDT: Zunächst einmal gibt es ein gutes Angebot im Internet, zum Beispiel den Bayrischen Erziehungsratgeber (www.baer.bayern.de), in dem Eltern Unterstützung zum Umgang mit diesem Thema finden. Hier findet man auch Hinweise auf gute Angebote für Kinder und Jugendliche. Hilft dies nicht weiter, kann man sich an regionale Hilfen wenden, beispielsweise Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche. Bei Hinweisen auf psychische Probleme ist es möglich, sich an ambulante Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie zu wenden. In akuten Krisen mit beispielsweise Panikanfällen oder hohen Erregungszuständen ist unsere Institutsambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Fulda ein kompetenter Ansprechpartner.
GS: Möchten sie der Leserschaft noch Weiteres zum Thema mitteilen?
PAUSCHARDT: Der Übergang von einer normalen Angst zu einer psychischen Störung ist fließend, hier sollten Eltern aufmerksam den Verlauf beobachten. Verschlechtert sich das emotionale Befinden der Kinder oder dessen Verhalten, obwohl die genannten Vorgehensweisen berücksichtigt wurden, sollte man sich Hilfe suchen. Mit dem Krieg in der Ukraine ist – neben der Corona-Pandemie und dem Klimawandel – ein weiteres großes gesellschaftliches Sorgenthema aufgetreten, auf das manche Kinder verstärkt Sicherheit gebende elterliche Antworten benötigen. Neben einem angemessenen Umgang mit Sorgen und Ängsten sollten Eltern natürlich auch darauf achten, ihren Kindern Freude und Spaß im Alltag zu bewahren und vermitteln.
Quelle: FuldaAktuell / lokalo24.de
Redakteur: Christopher Göbel
Foto: nastya_gepp on Pixabay
Der vollständige Artikel: FuldaAktuell: Kinder in der Krise
(Stand: 09.04.2022)